wissensfraktal
 
Strategisches (Wissens)Management
 
Hier wird Ihnen ein neuer Zugang zum strategischen (Wissens)Management eröffnet. Die Klammern wurden ganz bewußt gesetzt, weil »Wissensmanagement« spätestens seit Peter Druckers Definition eigentlich eine Tautologie ist: »Management ist die Anwendung von Wissen auf Wissen«. [1]
Im folgenden werden wir uns also auf das Wissen konzentrieren, oder besser: auf eine qualitative Ausprägung, die enorme Bedeutung für das strategische Management und die Gestaltung von Organisationen hat.
 
»Scientia et potentia humana in idem coincidunt«: Francis Bacons berühmtes Zitat [2] wurde in der Übersetzung »Wissen ist Macht« zum geflügelten Wort. In der Tat bestimmen Wissenspositionen die Handlungsmöglichkeiten und somit das Zielerreichungspotential in und von Organisationen.
So unterscheidet Neuberger [3] im Hinblick auf die Wissensverteilung drei »Gesichter der Macht«.
– Das erste ist durch offene Konfrontation gekennzeichnet: Die betroffenen Parteien verfolgen konfliktäre Zielsetzungen, wobei sich entweder der Stärkere durchsetzt oder eine Kompromißlösung gefunden werden muß.
– Beim zweiten Gesicht besitzt eine Partei die Möglichkeit, von vornherein die Menge wählbarer Alternativen auf die von ihr erwünschten zu beschränken. So kann der Wählende trotz objektiver Desinformation zumindest subjektiv frei entscheiden.
– Beim dritten Gesicht schließlich sind für beide Betroffenen keine Alternativen mehr sichtbar: Statt ihr Wissen zu kontrollieren, werden die Beteiligten quasi von ihrem Wissen kontrolliert.
Dieser Zustand ist mit der passiven (bzw. qualitativen) Desinformation vergleichbar, die entsprechenden Wissenseinheiten bezeichne ich in Anlehnung an das biologische Phänomen als (qualitative) blinde Flecken. [4] Ihre Wirkung läßt sich mit einem kleinen Experiment verdeutlichen. Schließen Sie Ihr linkes Auge, fixieren Sie mit dem rechten Auge das Kreuz und verändern Sie dabei langsam den Abstand zur Abbildung:
 
experiment
 
Sobald Sie die richtige Distanz erreicht haben, verschwindet das Quadrat; der visuelle blinde Fleck sitzt bei jedem Menschen an der Stelle, an welcher der Sehnerv in die Netzhaut mündet. Obwohl sie permanent vorhanden ist, fällt diese örtliche Blindheit normalerweise überhaupt nicht auf. Sie sehen nicht, daß Sie nicht sehen!
 
Während unser Experiment auf die visuelle Wahrnehmung beschränkt blieb, treten ganz ähnliche Phänomene auch in anderen Bereichen auf, in welchen Informationen oder Wissen verarbeitet wird. Besondere Bedeutung besitzen hier die qualitativen blinden Flecken der passiven Desinformation.
Qualitative blinde Flecken liegen in einer Wissensbasis immer dann vor, wenn ein Modell nicht als Modell betrachtet wird. Modelle sind Abbildungen von irgend etwas. Ein Modell braucht seiner Vorlage noch nicht einmal ähnlich zu sein: Denken Sie nur an die abstrakte Kunst oder unsere Sprache. Wenn sich auch im Jahre 1641 der deutsche Grammatiker Schottel dazu hinreißen ließ, »die Verwandtschaft der natürlichen Eigenschaft der Dinge mit den teutschen Wörtern« [5] zu loben, kann man kaum leugnen, daß »die Zahl 5 nichts besonders Fünfartiges an sich« hat »und das Wort »Tisch« nichts besonders Tischähnliches«. [6]
Selbst in Eugen Roths Paradebeispiel für eine Verdinglichung ist und bleibt das Schaf nur ein Wort:
 
Ein Mensch, der einen andern traf,
Geriet in Streit und sagte: »Schaf!«
Der andre sprach: »Es wär Ihr Glück,
Sie nähmen dieses Schaf zurück!«
Der Mensch jedoch erklärte: Nein,
Er säh dazu den Grund nicht ein.
Das Schaf, dem einen nicht willkommen,
Vom andern nicht zurückgenommen,
Steht seitdem, herrenlos und dumm
Unglücklich in der Welt herum. [7]
 
Modelle sind nicht identisch mit dem Abgebildeten. [8] Eine »perfekte« Abbildung wäre kein Modell mehr, sondern die Vorlage selbst. Anhand des Landkartenparadox kann man sich die Schwierigkeiten eines derartigen Projekts verdeutlichen:
»Stellen wir uns vor, ein Teil Englands wäre vollkommen eben gemacht worden und ein Kartograph zeichnete auf diese Fläche eine Karte von England, und zwar eine perfekte Karte, auf der auch nicht das winzigste Detail fehlt. Dann müßte diese Karte auch eine Karte der Karte enthalten, und diese wieder eine Karte der Karte, und so fort bis ins Unendliche«. [9]
 
Selbst wenn wir uns nur auf Größenmaße beschränken, ist eine Abbildung im »echten« Maßstab 1:1 nicht möglich, wie die Chaosforschung am berühmten Beispiel von Englands Küstenlänge zeigte. [10]
Als gemeinsames Merkmal aller blinden Flecken kann gelten, daß man gewissermaßen zum Gefangenen eines Modells wird. [11] Dieser Zusammenhang kommt sehr gut in Eschers Bildgallerie zum Ausdruck:
 
paradox
 
»Ein Bild hielt uns gefangen. Und heraus konnten wir nicht, denn es lag in unsrer Sprache, und sie schien es uns nur unerbittlich zu wiederholen.« Wittgenstein
 
 
Rechts unten sehen wir den Eingang zu einer Kunstgalerie. Hier befindet sich ein junger Mann, der eines der ausgestellten Bilder betrachtet. Darauf sieht er ein Schiff und einige Häuser an einem Hafenkai. Rechts setzt sich die Häuserreihe fort. Wenn wir nun ganz rechts unseren Blick senken, entdecken wir am unteren Rand ein Haus mit dem Eingang zu unserer Kunstgalerie. Der junge Mann ist also in dem Bild gefangen, das er betrachtet.
 
Die Folgen sind eklatant: Die an sich »nichttriviale Maschine« Mensch wird durch passive Desinformation trivialisiert. Im blinden Vertrauen auf die Wirklichkeit eines Modells verliert er den Blick für Alternativen und wird berechenbarer.
Bezeichnenderweise verdeckt diese endogene Restriktion für den Betroffenen seine grundsätzliche exogene Beschränktheit. Wie Adenauer sagte, leben wir zwar alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den selben Horizont.
Die Menge aller Modelle eines Individuums stellt sein Weltbild dar: wenn etwas nicht darin enthalten ist, dann weiß man noch nicht einmal, was man nicht weiß. Wenn man nur eine Ahnung davon hätte, könnte man wenigstens gezielt danach suchen (ansonsten wird man wohl allenfalls zufällig darauf stoßen).
 
Die Nichtidentität der Weltbilder ist für alle verbalen und nonverbalen Kommunikationsstörungen verantwortlich. Nur die Sprache der Mathematik gewährleistet eindeutige Kommunikation. Kant meinte sogar, die »Naturlehre [würde] nur soviel eigentliche Wissenschaft enthalten, als Mathematik in ihr angewandt werden kann.« Tatsächlich ist es möglich, mathematische Modelle, also Abbildungen durch Zahlen, beliebig verlustfrei umzuwandeln oder zu übertragen: denken Sie zum Beispiel an digitalisierte Musik, Bilder oder Filme, die ohne Qualitätseinbußen kopiert werden können.
Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß bereits bei der Modellierung ein Informationsverlust stattgefunden hat, und bei jeder Rückübersetzung erneut stattfindet. Einstein erwähnte demgemäß, daß die Sätze der Mathematik nicht sicher sind, insofern sie sich auf die Wirklichkeit beziehen, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit; soviel zum weichen Kern der harten Fakten.
Tatsächlich kann keine Definition außerhalb der Mathematik sinnvollerweise etwas anderes als eine Zuordnung sein. Daher ist fehlerhafte Kommunikation keine Ausnahme, sondern die Regel. Sie wird jedoch dann nicht erkannt, wenn sie sich innerhalb der Menge gemeinsamer blinder Flecken vollzieht – in dieser Hinsicht stellen sie eine Art von »Standardschnittstelle« dar.
Diese gewährleistet zwar einerseits organisatorische Beständigkeit, beschränkt aber andererseits das Handlungsvermögen. [12]
Diese Tatsache ist in Anlehnung an Ashby´s Gesetz unproblematisch, solange sich die Umweltkomplexität langsamer verändert als das Anpassungs- und Gestaltungsvermögen der Organisation, welches auch als ihre Intelligenz aufgefasst werden kann.
 
Die passive Desinformation besitzt als qualitative Restriktion besondere Relevanz für die Unternehmensführung.
Der hier entwickelte fraktale Managementansatz bietet in diesem Kontext eine tragfähige und systemverträgliche Plattform für die Organisationsgestaltung.
 
[Quellen]